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Vivawest will preiswerten Wohnraum vernichten

Es herrscht Aufregung und Verzweiflung in Essen und Bottrop. Genauer gesagt: in der Passstrasse in Bottrop und im Lippermannsweg in Essen-Karnap. Dort stehen alte Bergmannshäuser mit wunderschönen Gärten im Hinterhof. Typisch für eine Bergbausiedlung . Kein Wunder, das sich die Bewohner dort sehr wohl fühlen. Und sicher fühlten sie sich bisher auch. Denn bei den Wohnungen handelt es sich um ehemalige Zechenhäuser, die durch die Nachfolgegesellschaft der Treuhandstelle für Bergmannswohnstätten (THS), Vivawest GmbH, verwaltet werden. Für die Bewohner und ihre Familien galt, soweit sie beim Bergbau angelegt waren, lebenslanges Wohnrecht. 

Doch davon will die Vivawest nichts mehr wissen. Sie sollen alle raus, weil sie die Häuser zugunsten von Mehrfamilienhäusern abreissen will. Dagegen wehren sich die Bewohner. Vivawest begründet die zum 30.6.2023 ausgesprochenen Kündigungen mit dem angeblich maroden Zustand der Häuser und der fehlenden energetischen Wärmedämmung. Eine Sanierung wäre zu teuer. (der rote Balken links steht sinnbildlich für den schlechten  Energieausweis)

Zu allem Übel hat Vivawest die Grundstücke einschließlich Hinterhöfe und Gärten bereits weiter verkauft. Das sorgt ebenfalls für Empörung bei den Bewohnern.      

Die Bewohner in den o.g. Strassen unterstellen Vivawest, dass das Unternehmen in übelster Weise lügen würde. Weder seien die Häuser marode oder feucht. Im Gegenteil: alle Mieter haben die Häuser in liebevoller Eigenarbeit renoviert. In die Gärten wurde viel Arbeit und Geld investiert.

Die angebotenen Ersatzwohnungen würden auch nicht mal ansatzweise der jetzigen Wohnqualität entsprechen. Daher pochen sie auf das ihnen zustehende lebenslange Wohnrecht. Frech und dreist wäre es auch, so die Bewohner, das man die Grundstücke über ihre Köpfe hinweg bereits veräußert habe, denn sie hätten ein verbrieftes Vorkaufsrecht. Vivawest behauptet dagegen, das es solche Sonderrechte nicht geben würde. 

Wahrscheinlich sind jetzt die Anwälte am Zuge. Aber man sollte sich keinen Illusionen hingeben. Fast nie sind die Gerichte schneller als die Bagger.   

Eine rechtliche Klärung wäre dennoch nicht nur im Sinne der Bewohner in der Passstrasse in Bottrop und im Lippermannsweg in Essen-Karnap geboten, sondern auch im Sinne einer Erhaltung der bergmännischen Siedlungskultur. Diese hat nämlich bis heute dafür gesorgt, das der Zusammenhalt in der Stadt gestärkt wird, weil jeder jeden kennt und man ständig im Gespräch ist. Schließlich geht es auch nicht um den Abriss von 1 oder 2,sondern von über 100 Häusern. Das ist Vernichtung von preiswertem Wohnraum auf breiter Strassenfront. 

Und es ist auch nicht so, dass sich eine Sanierung der alten Bergbauhäuser nicht rentieren würde. Ansonsten hätte Vivawest in der Vergangenheit andere Bergbauhäuser nach Neuvermietung nicht ständig saniert und modernisiert. Wir schließen daraus, dass der Profit durch den Weiterverkauf in beträchtlicher Höhe lag, so dass Herr Eichner und der Vorstand nicht Nein sagen konnten. Eine Sanierung hätte sich bei bestehender Mieterschaft nicht so rentiert.    

Zeche Nordstern 1/2 in Gelsenkirchen-Horst, Hauptsitz von Vivawest, Foto: geststockly

ZUR GESCHICHTE von VIVAWEST

Wenn man verstehen will, warum die Aufregung unter den Bewohnern der o.g. Strassen so groß ist, muß man verstehen, welche Geschichte Vivawest hat. Sie ist nämlich eng mit dem Bergbau verflochten und geht zurück auf das Jahr 1920. 

Damals gründeten das rheinisch-westfälische Steinkohlensyndikat, die Bergarbeitergewerkschaft, Zechenleitungen sowie Arbeitnehmer aus den Zechen   die Treuhandstelle für Bergmannswohnstätten GmbH (THS). Ziel war es, für die Zechenbelegschaften im rheinisch-westfälischen Steinkohlenrevier preisgünstigen und qualitativ hochwertigen Wohnraum zu schaffen. Das blieb bis 2011 so. Den Bergleuten und ihren Familien wurde lebenslanges Wohnrecht zugesichert. Davon will der Konzern heute allerdings nichts mehr wissen. Am 1. Januar 2012 erfolge der Zusammenschluss von THS und Evonik Immobilien GmbH zur Vivawest.  

Vivawest ist mit rd. 120.000 Wohnungen und Gewerbeimmobilien sowie mit 2.080 Mitarbeitern eine der größten Immobilienfirmen in Deutschland mit Hauptsitz in Gelsenkirchen. Geschäftsführer ist der Dipl.-Ökonom Uwe Eichner, ein erfahrener Immobilienspekulant, der sich seine Meriten bei der Kölner GAG Immobilien AG erwarb. Diese Firma ist zuletzt wegen Ihrer Mietpreiserhöhungen in die Kritik geraten.

 

Vor dem Hintergrund der gesamtwirtschaftlichen Lage sowie der gestiegenen Energie-und Lebensmittelpreise bei fehlendem sozialen Wohnungsbau ist die Kündigung geradezu ein Skandal.

Wie sehr Vivawest auf „die Kohle“ schaut, zeigt die jüngste Entscheidung: der Zuschuss für den mit der RAG zusammen durchgeführtem jährlichen Marathonlauf im Revier wurde für 2023 gestrichen. Ein tolles Unternehmen.  

 

Nordstern bei Nacht mit einem verunstalteten Aufbau auf Schacht 2 und einer monströsen Herkulesfigur. Sinnbild der Entfremdung, Foto: geststockly

Die Vernichtung von preiswertem Wohnraum hat aber auch aktuell ein bitteres Geschmäckle, da Vivawest zu 40 % der RAG-Stiftung, zu 26,8 % der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie und zu 7,5 % der Evonik Operations GmbH gehört. Letztere ist wiederum eine Tochter der Evonik Industries AG in Essen, einer 56 % -Tochter der RAG-Stiftung. Die Evonik Industries AG wiederum ist aus der Degussa AG und der Ruhrkohle AG (RAG) hervorgegangen.  

Und was man auch nicht vergessen darf: als sich der Bund aus der Förderung von Bergbauwohnungen 2007 zurückzog, gab es zwischen der THS und der IGBCE einen Deal. Aufgrund ungeklärter Eigentumsfragen zahlte der Bund einmalig 450 Mio. EUR an die IGBCE. Sie wurde damit die reichste Gewerkschaft der Welt.  

Daher stand lange Zeit das Wohl der Mieter und nicht die Rendite im Vordergrund. Leider hat sich das geändert. Gesellschaftspolitisch wird sich das Wohnraumproblem aus unserer Sicht in Zukunft zuspitzen.       

 

Quellenhinweise: 

Lokalkompass Bottrop und Essen vom vom 05.02. 2023 und 15.02.2023;  Maessen, Hubert: … und dann kommst du nach Hause, 75 Jahre THS, Bochum 1995, S. 27-50; die Welt vom 08.08.2004; Gelsenkirchener-Geschichten.de vom 09.05.2017; Deutschlandfunk.de vom 21.12.2007; Westfälischer Anzeiger (WA.de) vom 29.09.2021; Kölner-Stadt-Anzeiger.de vom 04.11.2013; dorsten-online.de vom 23.09.2022 sowie RK-Redaktion vom 14.03.2023  

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