THYSSEN-KRUPP WILL AUF KÜNDIGUNGEN VERZICHTEN
Die Hüttenwerke Krupp-Mannesmann (HKM) in Duisburg, einst ein industrielles Schwergewicht der deutschen Stahlproduktion, stehen wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand. Die aktuelle Krise ist ein Spiegelbild tiefgreifender struktureller Herausforderungen, aber sie ist auch das Resultat schwerwiegender strategischer Fehlentscheidungen des Managements. Für die Beschäftigten, die seit Jahren um ihre Zukunft bangen, hat sich die Situation dramatisch zugespitzt – und für die IG Metall ergibt sich daraus ein klarer Handlungsauftrag: Es ist Zeit für Warnstreiks. Da der Vorstand sich Mitte Mai 2025 jedoch für weitere Verhandlungen entschied, wurden diese kurzfristig ausgesetzt. Aufgrund der allgemeinen schwierigen Gesamtwirtschaftlage sind in den letzten Monaten zahlreiche Betriebe in die Insolvenz gegangen, ohne das das von der Öffentlichkeit besonders zur Kennntnis genommen wurde. Warum also so eine Gewese um HKM ?
Ein Werk zwischen Tradition und Abstieg
Nun, HKM ist nicht irgendein Unternehmen. Seit Jahrzehnten gehört das Stahlwerk in Duisburg zu den wichtigsten Akteuren der deutschen Montanindustrie. Mit rd. 3000 Beschäftigten ist es ein bedeutender Arbeitgeber im Ruhrgebiet. Doch seit Monaten kriselt es. Auch beim Mutterkonzern ThyssenKrupp. Von den derzeit noch rd. 26.0000 Beschäftigten sollen 11.000 Arbeitsplätze gestrichen werden. Das ist mehr als ein Aderlass.
Die wirtschaftliche Schieflage ist nicht neu, aber sie verschärft sich spürbar – mit sozialem und politischem Sprengstoff in bisher noch nicht bekanntem Ausmaß.
Management ohne Kompass
Ein Teil der wirtschaftlichen Misere lässt sich mit dem rauen Wind auf den globalen Stahlmärkten erklären: Billigimporte aus Asien, Überkapazitäten in Europa und die schleppende Nachfrage in der Automobil- und Bauindustrie setzen der Branche zu. Doch wer allein externe Faktoren verantwortlich macht, greift zu kurz.
Vielmehr sind es strategische Versäumnisse und Fehlentscheidungen des Managements, die HKM in eine Sackgasse manövriert haben. Drei der gravierendsten Fehlentscheidungen seien hier genannt:
Verpasste Investitionen in zukunftsfähige und modernere Produktionsanlagen haben das Unternehmen gegenüber der Konkurrenz zurückfallen lassen.
Fehlinvestitionen in den sog. grünen Stahl zwecks Klimarettung werden den Stahlpreis verdreifachen, da grüner Stahl mit Hilfe von Windstrom und Elektrolyse nicht wettbewerbsfähig ist. Kokskohle ist dagegen immer noch der zuverlässigste und preiswerteste Energieträger, um Stahl zu erzeugen. China und Indien machen es vor.
Kommunikationsdefizite und mangelnde Transparenz gegenüber der Belegschaft schüren das Misstrauen. Während das Management auf betriebswirtschaftliche Zwänge verweist, fehlt ein glaubwürdiger Restrukturierungsplan mit Beteiligung der Beschäftigten.
IG Metall: Streik als letzte Antwort
Angesichts dieser Gemengelage ist der Ruf der IG Metall nach Streiks nicht nur nachvollziehbar, sondern notwendig. Die Gewerkschaft vertritt nicht nur die Interessen der Arbeiternehmer, sie fordert auch Verantwortung ein – von einem Management, das über Jahre Vertrauen verspielt hat.
Uns ist allerdings klar, das Warnstreiks nur medial wirksame symbolische Rituale sind. Sie sind ein bewährtes Druckmittel, das HKM dazu zwingen soll, soziale Belange ernst zu nehmen. Aber wenn es wie bei HKM ganz schlecht aussieht, dann geht es meistens nicht mehr um den Erhalt der Arbeitsplätze, sondern um eine sozialverträgliche Abfederung des Ausstiegs.
So war es auch 1993 beim Krupp-Hüttenwerk in Duisburg-Rheinhausen. 6000 Arbeitsplätze gingen damals für immer verloren. Durch kollektiven Widerstand kann lediglich verhindert werden, dass die Beschäftigten nicht leer ausgehen und die Vorstände einen möglichst hohen Preis bezahlen müssen.
ThyssenKrupp Chef Lopez Borrego Schließung in 2028 ist das Ziel
Offensichtlich lässt sich der studierte BWLer und Vorstandschef der ThyssenKrupp AG, Migual Angel Lopez Borrego, von nackten Zahlen leiten. Da es zwischen der IG Metall und dem HKM-Vorstand zuletzt ein wenig „gemenschelt“ hat, entzog er am 12.05.2025 der Geschäftsführung das Verhandlungsmandat. Offensichtlich, weil diese nicht knallhart genug vorging. Da er nach Ansicht von rf-news nicht davon ausgeht, das das Unternehmen noch für die Zukunft neu aufgestellt werden kann, plant er die Schließung für 2028. Grund für die Sinnesänderung könnte sein, das zwei Investoren abgesprungen sind. Und damit ist die Option des Verkaufs von HKM geplatzt.
Derweil verkündete der neue Bundeskanzler, Friedrich Merz, wir alle müssen wieder mehr arbeiten. Wir lassen das an dieser Stelle einmal unkommentiert.
WAS SAGEN DIE BOSSE ?
man könnte, man sollte, man müßte, geht nicht
Als erste reagierte die neue Arbeitsministerin und ehemaliges HKM-Aufsichtsratsmitglied, Bärbel Bas. Sie legte Ihr Mandat nieder. Karsten Kaus von der IG-Metall Duisburg sieht offensichtlich auch die Felle wegschwimmen und erklärte öffentlich, das man dafür sorgen werde, das die Beschäftigten so gut wie möglich abgesichert werden sollen.
Die Sicherung einer Zukunftsperspektive hört sich anders an. Zumal die gesamte Region seit rd. 40 Jahren strukturgebeutelt ist. Durch den Wegbruch von Kohle und Stahl sind nicht einmal ein Drittel der einstmals über 500.000 Beschäftigten bei Kohle und Stahl durch gut bezahlte neue Arbeitsplätze ersetzt worden.
Dem Staat bleibt mittlerweile kaum etwas anderes übrig, als das soziale Elend zu verwalten. Das kann auf Dauer nicht gutgehen. Startups und Eventveranstaltungen kurbeln die Nachfrage nur partiell an und schaffen kaum neue Arbeitsplätze. Und vom Industrie-Tourismus können 5,1 Mio. Menschen in NRW nun mal auf Dauer nicht leben. Die Politik ist daher wieder einmal gefragt, um gegenzusteuern.
Die Salzgitter AG, mit einem Anteil von 30 % an HKM beteiligt, betont die Bedeutung des Unternehmens für die eigene Versorgung mit Stahl-Vorprodukten. Nach dem Scheitern der Verkaufsverhandlungen mit CE Capital Partners erklärte Salzgitter-Chef Gunnar Groebler, dass eine Schließung von HKM nicht ohne Weiteres akzeptiert werden könne.
HKM sei ein wichtiger Zulieferer, der nicht leicht zu ersetzen sei. Eine Komplettübernahme von HKM durch Salzgitter schloss Groebler jedoch erneut aus, da das Werk in seiner aktuellen Form für Salzgitter allein zu groß sei. Dennoch ist Salzgitter bereit, gemeinsam mit Thyssenkrupp über Alternativszenarien zur Zukunft von HKM zu sprechen.
Der französische Röhrenhersteller Vallourec, der 20 % an HKM hält, hat bereits vor einiger Zeit seinen Liefervertrag mit HKM zum Jahresende 2028 gekündigt. Dies deutet auf ein langfristiges Interesse am Ausstieg aus dem Gemeinschaftsunternehmen hin. In Bezug auf die aktuellen Entwicklungen hat Vallourec bislang keine öffentliche Stellungnahme abgegeben.
Quellenhinweise:
Rheinische Post vom 07.05.2025; rf-news.de vom 19.05.2025; 1WDR.de vom 11.04.2025; IG-Metall-Duisburg vom 16.05.2025; WAZ.de vom 14.05.2025 und 17.05.2025; FAZ vom 11.04.2025; nd-aktuell.de vom 23.05.2025 sowie RK-Redaktion vom 14.06.20254
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