weitere Tausende Arbeitsplätze in Gefahr
Evonik, lange Zeit ein Flaggschiff der deutschen Spezialchemie aus Essen, steht seit 2024/2025 sichtbar unter Druck: rückläufige Umsätze, schrumpfende Margen und wiederholte Anpassungen der Cash-Prognosen haben das Management gezwungen, tiefgreifende Umstrukturierungen vorzulegen — einschließlich Personalmaßnahmen und Portfolio-Schlankheitsprogrammen.
Das Unternehmen selbst berichtet von schwächerer Nachfrage, sinkenden Absatzmengen und einem deutlich spürbaren Ergebnisrückgang in den Quartalen 2025. Dennoch will Evonik-Chef Christian Kullmann in Zukunft innovativer, fokussierter und ertragsstärker werden. Floskeln halt, wie sie jedes Unternehmen am Ende eines Jahres der Belegschaft und den Aktionären vorseuselt.
Dass Evonik gleichzeitig Kapitalmaßnahmen (z. B. Green-Hybrid-Bonds) und einen strategischen Umbau kommuniziert, zeigt: es handelt sich nicht um ein vorübergehendes Konjunkturzwicken, sondern um eine strategische Neuausrichtung, um Wettbewerbsfähigkeit und Liquidität zu sichern — mit Konsequenzen für Mitarbeiter, Standorte und Renditeerwartungen.
keine rote Laterne
aber rote Zahlen
Die RAG-Stiftung ist mit etwa 46 % der größte Einzelaktionär von Evonik. Ihre Hauptaufgabe ist es, die Nachsorgeverpflichtungen wie z.B. die Grubenwasserhaltung des deutschen Steinkohlenbergbaus langfristig zu finanzieren; deshalb sind Evonik-Dividenden und -Kursentwicklung für die Stiftung – praktisch Teil eines Sicherungsmechanismus zur Deckung milliardenschwerer Verpflichtungen. Sinkende Gewinne bei Evonik bedeuten unmittelbar geringere Dividendenerträge und damit ein erhöhtes Risiko für die Finanzplanung der Stiftung. Denn noch einen Flop wie die Beteiligung an der Signa-Gruppe kann sich die Stiftung nicht leisten. Die Auslastung im Chemiepark Marl-Hüls ging z.B. auf 70 % zurück. 85 % wären aber notwendig, um wirtschaftlich arbeiten zu können, so Evonik-Vorstandsmitglied Thomas Wessel. Und anstatt rd. 100 Mio. Euro an Gewerbesteuern einnehmen zu können, muß sich die Stadt Marl voraussichtlich mit nur noch 38 Mio. Euro zufrieden geben. Der britische Chemiekonzern Ineos will seine Produktion in Gladbeck ganz beenden. In Gelsenkirchen-Scholven steht die Aral-Raffinerie vor dem Verkauf.
Wenn ein Domino-Effekt eintreten sollte, so GE-Oberbürgermeisterin Andrea Henze, dann lasse sich dieser kaum noch aufhalten, weil die Standorte stark miteinander verflochten sind. Im schlimmsten Fall müßte man in Marl rd. 10.000 Menschen und in den Zuliefererbetrieben noch einmal rd. 30.000 Menschen freisetzen. Rechnet man die bereits verloren gegangenen Arbeitsplätze im deutschen Steinkohlenbergbau hinzu, dann wird schnell klar, warum das Revier auch auf Dauer strukturschwach bleiben wird.
Kurzfristig hat Evonik noch eine solide Liquiditätsausstattung (Cash-Bestände, Revolving-Facility). Und Rating-Agenturen sehen bislang keine sofortige Insolvenzgefahr. Moody’s etwa bewertet Evonik als liquide, erwartet aber, dass Free-Cash-Flow 2026 durch Restrukturierungszahlungen belastet wird. Das mindert zwar nicht sofort die Zahlungsfähigkeit, erhöht aber das Risiko, dass die RAG-Stiftung bei anhaltender Schwäche gezwungen ist, aktive Maßnahmen zu ergreifen: Verkauf von Aktienanteilen, zusätzliche Asset-Verkäufe durch Evonik mit Kursdruck, oder gar Umwidmung von Rücklagen.
Langfristig ist die Lage heikel: sollte Evonik über mehrere Jahre hinweg niedrigere Margen und reduzierte Ausschüttungen erwirtschaften, droht der RAG-Stiftung ein struktureller Einnahmenverlust — genau das Risiko, vor dem die Stiftung eigentlich schützen soll. Politisch erhöht das den Druck auf Landes- und Bundesebene. Debatten über eine Absicherung der Nachsorgefinanzierung oder Interventionen bei strategischen Industrie-Assets sind dann möglich.
Evonik hat sich auf die Herstellung von chem. Vorprodukten spezialisiert. Dazu gehören z.B. Superabsorber-Polymere, mit deren Hilfe Hygieneartikel hergestellt werden, Butadien-Derivate, Butanol und Isobutylen sind Vorprodukte für die Herstellung von Kunststoffen, Gummi, Klebstoffe und Treibstoffe
die Ursachen der Krise
Die Probleme bei Evonik sind kein Einzelfall, sondern Spiegelbild breiter, teils struktureller Schwächen der europäischen (und globalen) Chemiebranche. 4 Beispiele sollen das verdeutlichen:
Nachfrageschwäche und Zyklizität: Schwächeres Endkundengeschäft im Automobil, im Bau und Maschinenbau senkt die Nachfrage nach Zwischenprodukten und Spezialchemikalien. Evonik selbst nennt rückläufige Absatzmengen als Treiber der Umsatzschwäche.
Überkapazitäten, vor allem aus China: Globale Investitionen, insbesondere in Asien, haben Kapazitätsüberhänge in basischen Petrochemikalien geschaffen — das drückt die Preise und die Renditen weltweit. Branchenanalysen zeigen hohe Neuinvestitionen in China und den daraus resultierenden Wettbewerbsdruck.
Energie- und Produktionskosten: Europa leidet unter relativ hohen Energie- und CO₂-Kosten; das macht energieintensive Chemieprodukte teurer gegenüber US- oder China-Herstellern. Studien und Branchenverbände heben steigende Energie- und Transformationskosten als wichtige Belastung hervor. Aus diesem Grund plädiert Evonik auch für eine Abschaffung der CO2-Zertifikatekosten.
Strengere Regulierung & Transformation als Vorgabe, um die Klimaziele zu erreichen. Die alberne, aber politisch trotzdem massiv vorangetriebene Dekarbonisierung erfordert große Investitionen (Elektrolyseure, grüne Energieintegration, Prozessumsätzungen), die Gewinnmargen belasten, die Wettbewerbsfähigkeit behindert und für das Klima fast bedeutungslos sind. Das ist der ganz reale Wahnsinn, mit dem die Industrie zu kämpfen hat. Warum die aber nicht in breiter Front den Mund aufmacht, um eine Beendigung der Energiepolitik zu fordern, bleibt ein Rätsel.
Quellenhinweise:
WAZ vom 22.11.2025;stock-world.de vom 11.12.2025; hessenschau.de vom 11.10.2024; börsen-express.com vom 06.12.2025; deraktionaer.de vom 13.11.2025 sowie RK-Redaktion vom 14.12.2025
Fotonachweise:
Header: Hintergrund: fotolia-Kauf; Vordergrund: Evonik-Hauptverwaltung in Essen: Youtube-Screenshot; Grafiken: Freepick; Gestaltung: Revierkohle; unten links: Chemiepark Marl-Hüls, Youtube-Screenshot; links darunter: Labormitarbeiterin; Aral-Bochum