140 Jahre lang thronte sie am Rande der Saarbrücker Innenstadt: die Saarländische Bergwerksdirektion. Ein Bauwerk, das weit mehr war als ein Verwaltungsgebäude. Sie war die heimliche Königin des Saarlandes, nicht prunkvoll im goldenen Glanz, sondern geerdet – aus Sandstein, Eisen und Bergmannsgeist. Ein Haus, das die Geschichte eines Landes erzählte, das auf Kohle gebaut war. So ähnlich beeindruckend wie das ehemalige Verwaltungsgebäude des Steinkohlensyndikats und des Gesamtverbandes der Deutschen Steinkohle in Essen. Und deshalb hieß sie im Jahre 1877 zunächst auch „königlich-preußische Bergwerksdirektion.“
Wer über ihre Schwelle trat, spürte sofort, dass hier über Jahrzehnte hinweg Identität verwaltet und gestaltet wurde. Die Fußbodenmosaike von Villeroy & Boch, kunstvoll und zugleich zweckmäßig, zeigten Bergwerkszeichen, florale Muster, geometrische Linien – Spuren einer Zeit, in der Handwerk noch stille Diplomatie zwischen Schönheit und Robustheit war.
Der Festraum mit Loggia – einst Ort von Empfängen, Entscheidungen und Begegnungen zwischen Vertretern der Ruhrkohle, der Politik, den Gewerkschaften und vielen Bergleuten – öffnete sich beim Betreten wie ein Klangkörper in die Geschichte hinein.
Und wenn das Licht durch die bergmännischen Glasgemälde fiel, erzählte es in Farben von Schichtwechseln, Kameradschaft und schwerer Arbeit unter Tage. Aber nicht in einem folkloristischen Sinne, sondern in einer eher ehrwürdigen und ernsten Darbietung. Denn der Tod schwang auf den Zechen ja immer mit. Der Schwung der Eisentreppe, fast tänzerisch, war dabei das filigrane Gegenstück zur rauen Welt der Kohle unter Tage. Ein Gebäude, das widersprüchlich war, und gerade deshalb so menschlich.
Doch 2008 kam das absehbare, aber dennoch einschneidende Ende: Das letzte Bergwerk im Saarland lief aus, und mit ihm verstummte ein Taktgeber, der über Generationen hinweg das Leben der Menschen bestimmt hatte.
Die Bergwerksdirektion wurde geschlossen und fiel in eine Art Schwebezustand – zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Bedeutung und Bedeutungslosigkeit. Der französische Muschelkalk begann zu blättern. Gott sei Dank blieb das Gebäude aber von Vandalismus verschont.
1978 wurde die Bergwerksdirektion unter Denkmalschutz gestellt. Doch Denkmal bedeutet nicht immer, dass man auch denkt. Oft heißt es nur: „Man darf nicht abreißen.“ Das sollte ursprünglich schon 1971 erfolgen.
Europa-Galerie 15 Jahre einfaltsloser Konsumtempel
Und so kam es, dass aus der Königin ein Konsumtempel wurde. Eine „Europa-Galerie“. Ein Name, so großspurig wie austauschbar. Wo früher Entscheidungen über die Zukunft des Landes getroffen wurden, stehen heute Rolltreppen, Rabattaktionen und rd. 100 Filialisten, die man in jeder beliebigen Stadt findet. Hier wird der Mammon gefeiert, nicht Europa. Im Nov. 2025 feierte man dieses Einkaufszentrum ganz groß. Als sei seine Existenz ein kultureller Gewinn, als erfülle es eine Vision, die größer sei als das Vergessen. Man klatschte und schnitt Bänder durch – während die Bergleute, jene Menschen, ohne die die Geschichte des Saarlandes überhaupt nicht denkbar wäre, zu reinen Kulissenschiebern degradiert wurden. Ein paar Helme hier, ein paar Schwarz-Weiß-Bilder da – Gedenken als Dekoration.
Das ist kein angemessenes Erinnern.
Es ist das Geräusch einer Tür, die man hinter der eigenen Geschichte leise, aber bestimmt geschlossen hat.
Die Saarländische Bergwerksdirektion hätte ein Ort der Reflexion werden können. Ein Haus, das Vergangenheit trägt und Zukunft inspiriert. Ein Museum, ein Kulturzentrum, ein Denkraum, der die Stimmen der Bergleute nicht nur zeigt, sondern ernst nimmt. Die RAG hatte sich leider anders entschieden. Sie wählte als Ort der Erinnerung die Grubenwasserzeche Duhamel in Ensdorf. Die saarländische Bergbaugeschichte wurde zwar auch sehr schön aufbereitet, nur mit dem Unterschied, das dort nur wenige Besucher hinfahren. Anders die Bergwerksdirektion. Sie liegt fast in der Innenstadt.
Stattdessen bleibt nun der fade Nachgeschmack einer Transformation, die zwar wirtschaftlich erklärbar ist, aber kulturell schmerzt. Die Königin ist noch da – äußerlich. Doch ihr Geist wurde herausrenoviert, übertüncht, überbaut. Man könnte es mit einer an Demenz erkrankten Person vergleichen: hinter der Gardine brennt noch Licht, aber das Inventur wurde schon herausgetragen.
Vielleicht sollte man sich wieder erinnern.
Nicht an Kohle nur als Wirtschaftsfaktor,
sondern an das, was Kohle im Saarland wirklich bedeutete: Gemeinschaft, Stolz, Identität.
Und vielleicht daran, dass manche Gebäude nicht einfach nur genutzt werden wollen – sondern verstanden.
Blick in die Verkaufshalle der umgebauten Bergwerksdirektion Saarbrücken.
Was hat der Konsumtempel „Europa-Galerie“ und „Starbucks-Coffee“ miteinander zu tun ? Bis auf die Belanglosigkeit: nichts! Die Bergwerksdirektion ist zur Kulisse fürs shoppen, für Show-Acts und für Eventveranstaltungen verkommen. Trotzdem nannte Saarbrückens Oberbürgermeister Uwe Conradt die Umgestaltung der Bergwerksdirektion zu einem Konsumtempel einen „gelungenen Kompromiss.“ Ob er die ehemaligen Bergleute zu diesem Kompromiss auch befragt hat ?
Quellenhinweise:
RAG-Pressemitteilung vom 18.11.2025; Saarland.de o.J.; deutschlandfunkkultur.de vom 20.10.2010; Saarbruecker-Zeitung vom 12.11.2010 und 13.11.2025 sowie RK-Redaktion vom 15.11.2025
Fotonachweise:
Header: Hintergrund: Europa-Galerie-Einkaufshalle: Youtube-Screenshot, Vordergrund: RAG-Archiv, Saar; links unten: Eingangsbereich: Youtube-Screenshot; darunter (Mitte): Bergwerksdirektion um 1900; stockdreams. ai (KI-generiert); links darunter; der ehemalige Eingangsbereich der Bergwerksdirektion Saarbrücken, Foto: Youtube-Screenshot, rechts daneben: RAG-Archivbild